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Rendsburger Gutenbergbibel | SHLM Schloss Gottorf

 

Hätte Luther gewittert? - Die Rendsburger Gutenberg-Bibel

Von Dietrich Kreller | Hamburg

Hätte Luther getwittert? Vermutlich ja. 140 Zeichen in Echtzeit, eine griffige Botschaft inklusive Bild: Die moderne Form des Flugblattes. Luther wäre wohl einer der prominentesten User gewesen, zumindest in seiner Anfangszeit. Der Reformator nutzte eifrig die damaligen Möglichkeiten der Massenkommunikation. Was sich seit dem Reichstag zu Worms 1521 tat, „zwitscherten“ bald die Handwerker auf dem Dache und die Waschfrauen an den Bächen. Flugschriften verbreiteten die Lehre Luthers im ganzen Reichsgebiet. Edelleute und Bauern kauften, lasen, studierten und diskutierten die Schriften des Wittenberger Professors und seiner Mitstreiter.

2009 rief die Internetplattform evangelisch.de dazu auf, die Bibel über die Kommunikationsplattform Twitter zu verbreiten. Die Heilige Schrift ist damit endgültig im Web 2.0 angekommen. Eine Entwicklung, die mit Johannes Gutenberg in Mainz ihren Anfang nahm.

Johannes Gutenberg – Die Anfänge der Massenkommunikation

Die Weiterentwicklung der Papierherstellung und schließlich die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern beförderten den Erfolg der Reformatorischen Idee. Durch die Möglichkeiten, Inhalte zu vervielfältigen, verbreiteten sich die reformatorischen Schriften in rasantem Tempo, noch nicht in Echtzeit, aber binnen weniger Tage.

Als Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg,,(1400 – 1468) gut ein halbes Jahrhundert zuvor den Druck mit beweglichen Lettern entwickelte, hatte der Goldschmied aus Mainz vornehmlich geschäftliche Gesichtspunkte im Blick. Der Druck von Büchern mit beweglichen Lettern, sogenannten Inkunabeln oder deutsch „Wiegendrucken“ war eine lukrative Angelegenheit.

„Die Produktion der Gutenberg-Bibel war ein wirtschaftliches Unternehmen“, sagt Joachim Stüben, Bibliotheksleiter im Bibliotheks- und Medienzentrum der Nordkirche in Hamburg und damit zuständig für die Begutachtung des Bestands an Handschriften und Wiegendrucken auf dem Gebiet der Nordkirche. „Eine Gutenberg-Bibel kostete über den Daumen gepeilt so viel wie ein Stadthaus.“

Vorbild für die Gutenberg-Bibel waren die Handschriften. Mit ihrer gut lesbaren Texturschrift, die auch für Messbücher gebraucht wurde, lehnt sie sich an die damals üblichen Schriften an, die in den Schreibsälen der Klöster Buchstabe für Buchstabe mit Feder und Tinte kopiert wurden.

Die etwa 180 Exemplare der lateinischen Bibel, die in den Jahren 1452 bis 1454 in der Werkstatt von Gutenberg gedruckt wurden, waren noch vor Drucklegung verkauft. Alle Exemplare der wertvollen Buchblöcke aus der Gutenbergschen Druckwerkstatt aus Papier und teilweise aus Pergament, wurden schließlich individuell gebunden und teilweise aufwändig verziert.

Heute existieren immerhin noch 49 Exemplare des ältesten gedruckten Buches der Welt, davon 30 noch in der kompletten Fassung von Altem und Neuem Testament in lateinischer Übersetzung.

Eines der kostbaren Exemplare fand seinen Weg nach Rendsburg.

Die Story - Wie die Gutenbergbibel nach Rendsburg kam

„Generationen von Archivaren und Pastoren haben die Seiten begutachtet und nicht geahnt, welchen Schatz sie da in Händen hielten“, sagt Joachim Stüben, Entdecker der Rendsburger B42, wie sie abgekürzt bezeichnet wird. B 42 steht für die Zeilenzahl pro Spalte auf den zweispaltig angelegten Seiten der Gutenberg-Bibel.

Bei der Erstellung eines Gesamtverzeichnisses aller vor 1501 erschienenen Buchdrucke nach der 'Methode Gutenberg' in landeskirchlichem Besitz kam Stüben auch nach Rendsburg. Der Kirchenkreisarchivpfleger Hans Grützner machte ihn auf ein Bündel zerfledderter Seiten aufmerksam, das er von einer Buchrestauratorin aus Bayern zurückgeholt hatte. Sein Vorgänger hatte es ihr zur Restaurierung überlassen. Doch weder die Restauratorin noch der Auftraggeber noch alle anderen Vorgänger hatten bemerkt, was für ein Buch sie da vor sich hatten.

Stüben erkannte am Druckbild der Seiten mit ihren charakteristischen 42 Zeilen den Wert der Seiten - und wollte es kaum glauben. Erst die Bestätigung von Leonhard Hoffmann, Gutenberg-Spezialist an der Staatsbibliothek zu Berlin brachte letzte Gewissheit: Es handelte sich um die Reste des ersten Bandes einer ursprünglich zweibändigen Vollbibel aus der Mainzer Druckwerkstatt Johannes Gutenbergs.

Nach aufwändiger Restaurierung durch die Werkstatt Merz in Hamburg und Ankauf durch die damalige Nordelbische Kirche kann die Rendsburger Gutenberg-Bibel heute auf Schloss Gottorf im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Schleswig betrachtet werden - gut gesichert hinter Glas.

Jakob Pertenelle - Frommer Stifter und geschäftstüchtiger Priester

Die Rendsburger Bibel, so Joachim Stüben, ist die älteste vorreformatorische Bibel, die mit Sicherheit einer holsteinischen Pfarrkirche zugeordnet werden kann. Stüben hat umfangreiche Nachforschungen über das Geschichte der Rendsburger Gutenberg-Bibel angestellt und kommt zu dem Ergebnis:

„Es war wahrscheinlich der Geistliche Jakobus Peternelle, der die Gutenbergbibel der Pfarrkirche bei seinem Wechsel von Lübeck nach Rendsburg geschenkt hat. In dem Haupt-Missal, dem Messbuch, das auf dem Hochaltar benutzt wurde, ist vermerkt, das Peternelle im Jahr 1458 kurz nach dem Druck der Gutenberg-Bibel der Marienkirche einen größeren Posten Bücher vermachte.“

Lübeck war damals einer der Hauptumschlagplätze für Handschriften und gedruckte Bücher im Norden. Die Bücher wurden in Fässern transportiert, um sie gegen Licht und Feuchtigkeit zu schützen..

Peternelle stammte aus der reichen Stadt an der Trave und war Sohn eines Kapitäns der Hanse. Als Pfarrer und Ablasskommissar im Dienste des Papstes finden wir ihn in Rendsburg, ein gebildeter und wohlhabender Mann mit einer für damalige Verhältnisse sehr guten Ausstattung. Nebenbei war der Mann der Kirche auf dem Kieler Immobilienmarkt aktiv. Nebeneinkünfte von Geistlichen - nichts Ungewöhnliches in dieser Zeit, so Stüben: „Kleriker hatten damals ein breites Betätigungsfeld vom Weinhandel bis zur Lesung von Messen.“

Die beiden Bände der Gutenberg-Bibel waren vermutlich zum Studium in der damaligen Bibliothek über der Sakristei bestimmt, denn an dem Einband des Rendsburger Fragments finden sich die Reste einer Kette. Zum Schutz vor Beschädigungen und Diebstahl waren die Bücher an einer Stange über den Lesepulten mit einer Eisenkette befestigt.

Die Stiftung – Reformprogramm und Lebensversicherung

Die Anschaffung der Bibel sollte den Mitgliedern der Pfarrkirche St. Marien zugute kommen.

Ziel war die Reformierung der Kirche durch eine verbesserte Ausbildung der Geistlichen. Ein Programm, das für das Bistum Schleswig unter dem damaligen Bischof Nikolaus Wulf (1429–1474), der selbst aus Rendsburg stammte, nachweisbar ist.

Rendsburg gehörte damals zur Dompropstei Hamburg, lag aber im Grenzgebiet zur Diözese Schleswig. Wulf forderte die Mitglieder seines Domkapitels dazu auf, Bibeln oder andere theologische Literatur seinen neu begründeten Bildungseinrichtungen in Hadersleben und Schleswig zu schenken. Auch an St. Marien in Rendsburg muss es eine Art „Studium“ gegeben haben, so Stüben: „Das Bedürfnis nach theologischer Auseinandersetzung war im niederdeutschen Raum intensiver als wir heute annehmen.“

Den Hintergrund bildeten die Konzilsbewegungen des 15. Jahrhunderts. Auf der Kirchenversammlung von Konstanz (1414-1418) waren Jan Hus und John Wyclif als Ketzer verurteilt worden. Diese und ihre Anhänger beriefen sich auf die Bibel und forderten eine höhere Beteiligung von Laien am kirchlichen Leben und die Einschränkung priesterlicher Macht.

Es ist anzunehmen, so Stüben, dass die Anschaffung der noch druckfrischen Gutenberg-Bibel und weiterer Literatur durch Peternelle in diesem Zusammenhang steht. Peternelle pflegte enge Beziehungen zu Schleswig. So sammelte er Geld für den Wiederaufbau des Schleswiger Doms nach dem verheerenden Brand von 1440.

Die Rendsburger Gutenberg-Bibel: Für Joachim Stüben ein Beleg dafür, dass es vorreformatorische Bestrebungen auch in Schleswig-Holstein gegeben hat. Joachim Stüben: „Schrift und Tradition blieben verschränkt. Man erkannte, dass die Kirche 'krank' war und man wollte sie doch reformieren, nur innerhalb des durch die Tradition vorgegebenen Rahmens. Die Geistlichen der Pfarrkirche mussten deshalb gewappnet sein gegen mögliche Kritik an ihrer Arbeit. So gab es Schriften zum Kirchenrecht und zur geistlichen Deutung des Gottesdienstes an der Marienkirche.“

Ganz uneigennützig war das wertvolle Geschenk allerdings nicht, so Stüben: „Die Stiftung von Büchern galt damals als verdienstliches Werk, das Fegefeuerstrafen abkürzen konnte.“

Jakob Peternelle starb vor 1473, die Erinnerung an den großzügigen Spender wurde im Memorien-Kalender von St. Marien bewahrt.

Die Rendsburger Gutenberg-Bibel blieb in Gebrauch und wurde irgendwann, vermutlich in Besatzungszeiten misshandelt, geplündert und zerfleddert. Joachim Stüben: „In einer Quelle von 1764 steht noch, dass zwei alte ganz zerfetzte Bibeln im Pastorat auf dem Boden lagen. Gemeint ist wohl auch der zweite Band, der leider verschollen ist.“

Für die weitere Entwicklung im Rendsburg der Reformationszeit spielte die Gutenberg-Bibel wohl keine zentrale Rolle. Als Druckerzeugnis blieb sie ein Meilenstein auf dem Weg zur Reformation und der Entwicklung unserer heutigen Kommunikationskultur - von Mainz über Rendsburg bis ins World Wide Web.

Der Autor:

Dietrich Kreller, 47, Journalist und Theologe, lebt in Hamburg.

Ich hatte die seltene Gelegenheit, die Rendsburger Gutenberg-Bibel in der Hamburger Restaurierungswerkstatt Ende der 90er Jahre in die Hand nehmen zu können. Das Geräusch der Blätter beim Umschlagen, den Duft des Leders und das geniale Schriftbild - diesen sinnlichen Gesamteindruck werde ich nie vergessen.“

Der Beitrag erschien erstmals in der Reihe "Orte der Reformation 8, Hamburg, Lübeck, Schleswig-Holstein, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2013.

Daniel Mourkojannis | Johannes Schilling | Gerhard Ulrich | Thomas Maess (Hrsg.)


Links:

Nordkirchenbibliothek

http://nkb.nordkirche.de/

St. Marien Rendsburg

http://www.st-marien-rendsburg.de

Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf

http://www.schloss-gottorf.de/

Jüdisches Museum Rendsburg

http://www.schloss-gottorf.de/juedisches-museum

Norddeutsches Druckmuseum Rendsburg

http://www.druckmuseum.org

Gutenberg-Museum Mainz

http://www.gutenberg-museum.de/